Brachiale Heilmethoden und Narkose mit dem Holzhammer - von Thorsten Ringel


Das Hospital des Johanniterordens auf Malta galt vor 400 Jahren als das berühmteste Krankenhaus in Europa - Damals bereits spezialisierte Ärzte

Steil fällt die Mittagssonne in das enge Geflecht der Gassen von Valetta. Durch enge Treppengassen läuft man hinab zum Hafen. Hier fällt inmitten der verwinkelten Häuser ein großes und ungewöhnlich prächtiges Gebäu-de auf halber Höhe ragt ein ehe-mals repräsentativer Balkon hervor, Grasbüschel und Unkraut wachsen jetzt in den Mauernischen und auf den bröckelnden Simsen. Ausgehöhlte Fenster schauen wie blinde Augen aufs Meer hinaus. Tatsächlich aber be-herbergte dieses Gebäude einst das größte und berühmteste Hospital des Abendlandes!

Durch ein kleines Portal an der Ost-seite tritt man in das Haus ein, das heute als Kongresszentrum dient, und sogleich weicht die flirrende Mittags-hitze einer angenehmen Kühle. Die Gänge führen zu einem großen Saal, dessen enorme Ausmaße den Besu-cher überwältigen: 155 Meter lang, elf Meter breit und über zehn Meter hoch. Zu seiner Zeit war er der größte Krankensaal der Welt. Heute herrscht hier eine vornehme

Stille, vor 400 Jah-ren aber war der Saal erfüllt von dem Stöhnen und Lärmen von weit über hundert Patien-ten aus allen damals bekannten Ländern der Erde.

Gründer der Klinik waren die Ritter des Johanni-terordens, der ersten internationale Krankenhausorganisation der Geschichte. Im Jahre

1574 wurde mit dem Bau des Hospi-tals begonnen, das man "La Sacra In-ferrneria" nannte, "das Heilige Hospital". Dabei wurde ein ungewöhnlich modernes Konzept verfolgt: Man bilde-te kleine Einheiten, die für jeweils eine Krankheit zuständig waren, sozu-sagen spezialisierte Fachabteilungen.

Hunderte von Patienten waren zusammen im großen Saal untergebracht, der von Stöhnen, Flehen, Weinen und einem                       Üblen Geruchsmix erfüllt war.(Foto: Glauert)

Hunderte von Patienten waren zusammen im großen Saal untergebracht, der von Stöhnen, Flehen, Weinen und einem Üblen Geruchsmix erfüllt war. (Foto: Glauert)

Reise durch die Medizingeschichte

Deutlich wird das, wenn man sich auf eine Zeitreise begibt und einen Spa-ziergang durch die Klinik unter-nimmt, wie sie im Jahre 1679 aussah, als sie bereits weithin "der Ruhm Mal-tas" genannt wurde. Der Gang durch das Hospital ist wie ein Streifzug durch den aktuellen Stand der medizi-nischen Wissenschaft jener Zeit.

Im Innenhof spendet ein kleiner Hain von Orangen- und Zitronenbäu-men Schatten für die Patienten und Besucher, die hier vor der südlichen Sonne Schutz finden. Der Duft der Orangenbäume weht hinauf in die Krankenzimmer. Schon ein paar Schritte weiter aber vermischt er sich mit dem strengen Geruch des Hühner-hofs, der direkt neben der Küche ange-legt ist, von wo diverse Dunstschwa-den in der Sommerhitze aufsteigen.

Mattes Stöhnen der Patienten dringt aus der Fieberstation nebenan. Die akuten Fälle hat man auf der einen Seite des Saales aufgereiht, chronisch Fiebernde liegen an der gegenüberlie-genden Wand. Die Schwestern legen von Zeit zu Zeit kühlende Umschläge auf die Stirn der Kranken. Angehörige sitzen schweigend daneben und fä-cheln ihnen Luft zu - eine hilflose Ges-te in der drückenden Sommerhitze, wo kein Windhauch geht und die Raumluft mit Eitergeruch erfüllt ist.

Sterben ist Männersache

Nebenan entsteht plötzlich ein Tu-mult: Die dort aufgestellte Wache ver-wehrt den Besucherinnen den Eintritt und herrscht sie an. Das Klagen und Betteln der Mütter und Ehefrauen geht unter in einem barschen Befehl, der sie unbarmherzig zurückweist. An den Streitenden vorbei treten wir in den Raum für Mori-bunde ein, die "Saletta".

Hier zu den Sterben-den dürfen keine Frauen rein, nicht einmal die engs-ten Verwandten. Nur gelegent-lich ist in dem Halbdunkel ein Flüstern zu hö-ren, ringt sich ein Stöhnen aus den matten Kör-pern. Neben je-dem Lager sind Ni-schen in die Wände eingelassen, in denen sich Öl befindet für die letzte Ölung der Sterbend-en, die von den Priestern des Hospitals verabreicht wird.

Beklommen treten wir wieder hi-naus auf den Flur. Wir haben uns noch nicht erholt von den flehenden Bli-cken der Sterbenden, da fährt ein gel-lender Schrei durch Mark und Bein. Die Besucher erbleichen und werfen sich fragende Blicke zu. Ein Wärter er-klärt ungerührt im Vorbeigehen über die Schulter: "Das ist der Steinschnei-der." Tatsächlich sind wir zufällig Oh-renzeugen eines urologischen Ein-griffs geworden. Blasensteine nämlich wurden mit einem entschlossenen Messerschnitt durch den Damm he-raus operiert, natürlich ohne Betäu-bung. Die einzige Narkose bestand da-rin, dass der unerträgliche Schmerz die Patienten manchmal in eine gnädi-ge Ohnmacht fallen ließ.

Ursprünglich von Barbieren auf Jahrmärkten ausgeführt, entwickelte sich die Steinschneiderei zu einer der am meisten spezialisierten chirurgi-schen Fachgebiete. Der Malteser Chi-rurg Michelangelo Grima gelangte in dieser Disziplin zu weltweitem Ruhm, war er doch so erfahren und ge-schickt, dass er die Eröffnung der Harnblase und die Entfernung des Steins innerhalb von zweieinhalb Minuten durchführen konnte. Und die Schnel-ligkeit war entscheidend, denn neben der geringeren Infektionsgefahr zähl-te für den Patienten jede Sekunde, die ihm der grausame Schmerz erspart blieb.

Schmierkur gegen Syphilis

Rauch zieht durch die Gänge des Hos-pitals, heißt in den Augen der Besu-cher und reizt zum Husten. Ist irgend-wo in der Klinik ein Feuer ausgebro-chen - Nein, der Rauch stammt viel-mehr aus einem Kellerraum, der "Stu-fa". Dieser Keller ist Teil der Spezialab-teilung zur Behandlung der Syphilis, einer ebenso gefürchteten wie verbrei-teten Krankheit, besonders unter den Matrosen. In einem "forno", einem großen Ofen, wird Holz verbrannt, um die darüber liegenden Räume zu erhitzen. Dort wiederum liegen Pa-tienten auf ihren Lagern und lassen die Heißluftbäder über sich ergehen, die die Krankheit aus ihren Körpern vertreiben soll. Im Nachbarraum haben sie zuvor eine spezifische Chemo-therapie in Form von quecksilberhalti-gen Salben erhalten, die die Lustseu-che heilen sollen.

Leidvolle Quecksilber-Kur

Was relativ gemütlich klingt, war in Wirklichkeit eine leidvolle Prozedur für den Patienten. Das wird deutlich in der Schilderung eines berühmten Zeitgenossen, der sich selber einer sol-chen Therapie unterziehen musste. Ul-rich von Hutten schreibt: "Mit der Sal-be aus Quecksilber und drei oder mehr Medikamenten schmierten die Chirurgen Arm- oder Beingelenke ein. Die Kranken wurden in eine Hitzstube eingeschlossen, die ununterbrochen und sehr stark geheizt wurde, zwan-zig, dreißig Tage hindurch, manchmal noch länger ( ... ) Rachen, Zunge, Zahn-fleisch schwollen an, ( ... ) Der Speichel floss ohne Unterlass aus dem Mund, furchtbar stinkend ( ... ) Vielen wurde das Gehirn angegriffen, dass sie Schwindel bekamen, andere wurden tobsüchtig ( ... ) Viele habe ich mitten in der Kur sterben sehen Den-noch galten die Quecksilberkuren als das einzige Heilmittel gegen das Siech-tum der Syphilis, und die Behandlung entsprach dem aktuellen internationa-len Stand der Wissenschaft.

Tatsächlich war das Hospital auf vie-len Gebieten führend in der Welt und berühmt für seine Behandlungserfol-ge. Davon weiß Dr. Paul Cassar zu be-richten. Er ist eine Kapazität auf dem Gebiet der Medizingeschichte. Vor uns steht ein hagerer Herr, dem man seine acht Lebensjahrzehnte nicht ansieht. Die Haltung ist auf-recht, fast aristokratisch, das scharfe Profil wirkt streng. Umso lebendiger wird seine Mimik, wenn es um die Medizingeschichte Maltas geht, war Mal-ta doch einst weltberühmt für seine medizinischen Leistungen.

Da der Ritterorden über viele Jahr-hunderte ein militärischer Orden war, bildete sich die Kriegsmedizin als eine Spezialität heraus. Die Chirurgen wa-ren allesamt erfahrene Traumatolo-gen. Komplizierteste Wunden bis hin zu Kopfverletzungen wurden behan-delt, die Trepanation, also das Durch-bohren der Schädeldecke, war kein sel-tener Eingriff.

Alle diese Maßnahmen waren äu-ßerst schmerzhaft. Da lag es nahe, dass man über Wege der Schmerzlin-derung nachdachte und relativ früh Ansätze der Anästhesie fand. So wur-de ein Narkoseschwamm in eine Tink-tur aus Alkohol, Mohn, Opium und an-deren Drogen getaucht. Dieser bene-belnde Cocktail wurde vom Patienten eingesogen, bis er in einen Rausch ver-fiel und das Bewusstsein verlor. Neben dieser schon sehr verfeinerten Narko-seführung wurde aber gelegentlich auch ein wesentlich raueres Verfahren praktiziert, die vielleicht älteste Narko-semethode der Welt, die Professor Cas-sar schildert: "Auch der Schlag mit dem Hammer fand Verwendung. Der Kopf des Patienten wurde dazu mit ei-ner Art Helm bedeckt. Der Chirurg führte dann einen kräftigen Schlag da-gegen, der dem Patienten das Bewusst-sein raubte. So konnte er die Operati-on überstehen, ohne Schmerzen zu leiden." Eine brutale, aber offenbar wirksame Methode.

Heilung geht durch den Magen

Zurück im Großen Saal mag man sei-nen Augen nicht trauen: Inmitten der Krankenlager, zwischen Patienten und Besuchern, tummeln sich ungestört Ziegen und Esel. Ein Meckern und Blöken erfüllt den Raum. Sind die Tiere entlaufen, ist ein Zirkus im Haus? Nichts von alledem, dieses Spektakel ist Teil der großzügigen und ausgeklü-gelten Krankenhausdiät.

Die Verabreichung von Ziegen- und Eselmilch war in erster Linie für Klein-kinder und Findelkinder vorgeschrie-ben, wenn keine Ammen zur Verfü-gung standen. Aber auch Erwachsene erhielten Milch als Therapeutikurn bei Magenerkrankungen. Dabei war es zu Beschwerden einiger Patienten gekom-men, die behaupteten, dass sie statt der vorgeschriebenen Eselmilch ledig-lich Ziegenmilch erhalten hätten. Um diesen wiederkehrenden Klagen jegli-che Grundlage zu entziehen, sann die Klinikleitung auf Abhilfe: Die Esel und Ziegen wurden täglich auf die Station geführt und vor den Augen der Patien-ten gemolken.

Internationale Apotheke

Die medikamentöse Behandlung war weniger spektakulär, aber doch sehr ausdifferenziert. Eine Ahnung davon gibt die Bestückung der Apotheken. Das Hospital verfügte über zwei Apo-theken, die an private Pharmazeuten vermietet waren. Über 42,0 Medika-mente waren gelistet, darunter auch zahlreiche ausländische. Neben allen damals gängigen Pharmaka verfügte diese "internationale Apotheke" zu-sätzlich über exotische Spezialitäten: Koralle und Hirschhorn tauchen bei-spielsweise im Inventar auf, Mantia und Viperngeist. Bezoarstein wurde aus dem Magen von Ziegen gewon-nen, Haifischzähne rundeten das the-rapeutische Angebot ab.

Die Grenze der medizinischen Leis-tungen war jedoch erreicht, als die Kostenbelastung für den Orden zu groß wurde. Da wurde es unumgänglich, dass man ausgeklügelte Maßnah-men zur Kostendämpfung ersann, mit unterschiedlichem Erfolg. Diese Spar-maßnahmen machten auch vor den kleinen Dingen nicht halt: Das traditio-nelle gemeinsame Dinner für die Pries-ter, Ärzte und Chirurgen, das jährlich stattgefunden hatte, fiel dem Rotstift zum Opfer. Und der gute sizilianische Wein wurde nur noch an Patienten ab-gegeben, nicht mehr an die Ärzte - eine Regelung, die sich auch bei uns durchgesetzt hat, wie manche sicher-lich heute noch bedauern.


Quellenangaben :

(Bericht aus der Tageszeitung "Die Rheinpfalz" vom 21.Juni 2001 von Martin Glauert)