Die Symbolik des achtspitzigen Kreuzes

(c) Joachim Meinicke

Das ein Kreuz als Wahrzeichen eines christlichen Ordens fast schon obligatorisch ist, steht wohl außer Frage. Was aber hat es mit der speziellen Form des vom Orden verwendeten Kreuzes, oft als Malteserkreuz bezeichnet, auf sich?

Auf den ersten Blick fällt auf, daß bei dieser Kreuzform die Spitzen ganz eindeutig dominieren. Einige sehen darin sogar eine Evolution des sogenannten Jerusalemkreuzes. Darüber hinaus gibt es auch Stimmen, die in der Geometrie ein auf den muslimischen Mystizismus basierendes arabisches Sternmotiv erkennen wollen. Die Symmetrie des Malteserkreuzes findet sich in der Architektur der Arabischen Welt wieder, könnte den Orden während seiner Zeit in Outremer also durchaus beeinflußt haben. Jedenfalls wird über den genauen Ursprung noch gestritten.

Fest steht: Vor der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts existiert keine bildliche Darstellung eines vom Orden verwendeten Kreuzes, dessen Form der des bekannten Malteserkreuzes entspricht! Ältere Abbildungen von der Zeit auf Rhodos wurden nachträglich retuschiert. Vor dem Malteserkreuz verwendete Kreuzformen wie beispielsweise das Ankerkreuz ähneln dem Malteserkreuz teilweise aber schon sehr.

Wie dem auch sei, hinter den stets acht in den Vordergrund gehobenen Spitzen verbirgt sich eine für den Orden wichtige Symbolik, die im wesentlichen auf den drei im folgenden besprochenen Punkten beruht.

I. Die acht Seligpreisungen der Berufenen

Dieses Kreuz versinnbildlicht durch seine Form nicht nur den Tod Christi sondern soll mit seinen acht Spitzen ebenfalls auf die acht Seligpreisungen der Bergpredigt hinweisen.

Die Bergpredigt, eine der bekanntesten Stellen im neuen Testament, finden wir im Evangelium des Matthäus, Kapitel 5-7.

Die acht Seligpreisungen lauten je nach Übersetzung:

1. Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich

2. Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden

3. Selig die Sanftmütigen, denn sie werden gesättigt werden

4. Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden

5. Selig, die lauteren Herzens sind, denn sie werden Gott schauen

6. Selig die Friedfertigen, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden

7. Selig, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das Himmelreich

8. Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und lügnerisch alles Böse gegen euch sagen um meinetwillen. Freuet euch und frohlocket, denn euer           Lohn ist groß im Himmel.

Hier ist, ohne jetzt tiefergreifende Deutungen und Interpretationen anführen zu wollen, die Rede von einem Leben mit bzw. in der Gegenwart Gottes, eine kurze Zusammenfassung der elementaren Grundgedanken. Kein Wunder also, daß die Johanniter diese Bedeutung besonders hervorheben wollten.

II. Die Tugenden

Das Kreuz ist weiß. Diese Farbe repräsentiert seit eh und je Reinheit.

Die vier Arme des Kreuzes stehen für vier christliche Tugenden:

1. Vernunft, Klugheit, Vorsicht

2. Mäßigkeit, Enthaltsamkeit

3. Gerechtigkeit

4. Tapferkeit, Seelenstärke

Die acht Spitzen stehen für die Ordenstugenden:

1. Spirituelle Ausgeglichenheit

2. Leben ohne Bosheit und Haß

3. Geduld und Ausdauer in Zeiten von Pein und Qual

4. Liebe zur Gerechtigkeit

5. Barmherzigkeit

6. Aufrichtigkeit

7. Reinheit des Herzens

8. Ertragen von Verfolgung

III. Die 8 Zungen

Bei dem Orden handelt es sich um die vielleicht erste, wirklich übernationale Gemeinschaft Europas. Schon in Outremer wurden acht nationale Zusammenschlüsse, genannt "Zungen", gebildet.

Innerhalb der Zungen oder Provinzen wurden je nach ihrer Größe Großpriorate gebildet, die wiederum oft aus mehreren Prioraten oder Balleyen bestanden.

1. Zunge: Provence - Großpriorate St. Gilles und Toulouse

2. Zunge: Auvergne - Großpriorat Auvergne

3. Zunge: Frankreich - Großpriorate Frankreich, Aquitanien, Champangne

4. Zunge: Italien - Großpriorate Messina, Capua, Lombardei, Venedig, Barletta, Pisa, Rom

5. Zunge: Aragon - Großpriorate Navarra, Katalonien

6. Zunge: England - Großpriorate England, Irland / (ab 1782 englisch-bayerische Zunge, später kam noch die russische Zunge hinzu)

7. Zunge: Deutschland - Großpriorate Deutschland, Böhmen-Österreich, Skandinavien, Ungarn, Polen

8.Zunge: Kastilien - Großpriorate Kastilien-Leon, Portugal

Großmeister Emanuel de Rohan (1775 - 1797) wollte das Priorat Polen mit dem Großpiorat Bayern zur polnisch-bayerischen Zunge verbinden. Dadurch wäre jedoch eine neunte Zunge entstanden. Der Großmeister beschloß jedoch, die Anzahl der Zungen aufgrund ihrer Symbolik und der Tradition nicht zu verändern. Deswegen vereinigte er die polnisch-bayerischen Zunge mit der englischen Zunge, die seit der Vertreibung der Johanniter aus England durch Heinrich VIII eigentlich nur noch theoretisch bestand. Da die polnische Zunge geographisch und staatsrechtlich zu Rußland gehörte, erhielt die Zunge schließlich den Namen englisch-bayerisch-russische Zunge.

Der heutige Most Venerable Order of the Hospital of St. John of Jerusalem könnte als Nachfolger der ehemaligen englischen Zunge angesehen werden, es existieren aber keine organisatorischen Verbindungen zum Orden.

Bis heute haben sich im Laufe der Zeit verschiedene Splittergruppen in den Ländern, die früher einmal die acht Zungen des Ordens umfaßten, etabliert.

Ab dem 15. Jahrhundert sind bestimmte hohe Regierungsämter des Ordens den einzelnen Zungen fest zugeordnet:

Es herrschte durchaus ein Konkurrenzdenken zwischen den einzelnen Zungen, im positiven wie im negativen Sinne. Trotzdem konnte sich der Orden inmitten der erbitterten Kämpfe zwischen den europäischen Mächten die völkerumspannenden Ideale erhalten.

Schon auf Rhodos besaßen die einzelnen Zungen separate Herbergen oder Auberges. Man wetteiferte miteinander, was Pracht und Erhabenheit der Bauten betraf. Die Verteidigung einzelner Bastionen oder Teile der Stadtmauer war ebenfalls den einzelnen Zungen zugeordnet.